2009 – Effi B. – Der Fall

2009 – Effi B. – Der Fall

Es spielten im März 2009: Annette Höpfner, Nils Machens, Doris Hirschmann, Ulrike Dillo, Julia und Katharina Majewski

Inszenierung / Dramaturgie / Bühne: Nikola Hecker
Kostümbild: Ulrike Majewski
Regieassistenz: Ulrike Dillo / Christian Klose
Abendspielleitung: Christian Klose
Licht / Ton: Manuel Abrahmczik
Hospitanz: Melanie Hebestreit

Wie eine junge Frau am Ende des 19. Jahrhunderts unter den gesellschaftlichen Konventionen leidet und sich aus einer Ehe ohne Liebe in eine tödlich endene Affäre flüchtet, ist für das Theater der Letzten ein Stoff voller aktueller Brisanz.

Die Schauspielerin Nikola Hecker verdichtet in ihrer ersten Regiearbeit Fontanes Klassiker zu einem spannenden szenischen Reigen und bedient sich mit ihrem Ensemble auf unkonvientionelle Weise der Mittel des Sprech-, Tanz- und Schattentheaters. Annette Höpfner ist als Effi eine vitale Figur, der zunehmend die “Befähigung zum Glück” abhanden kommt, die zum Opfer gesellschaftlicher Zwänge und ihres aufgezwungenen Schuldgefühls wird. Ihr Schicksal liest Hecker als Station in der Geschichte der Emanzipation, die hier noch in den Kinderschuhen steckt, aber bis in die Gegenwart mit ihren alltäglichen Abhängigkeiten und tragischen Extremen, wie Zwangsehe oder Ehrenmord wirkt.


maedchen mit schirm
Postkarten- u. Plakatmotiv

Viele Fotos zur Inszenierung u. zu den Proben von “Effi” finden Sie unter der Rubrik “Blog”!

Interview mit der Regisseurin zu “Effi B. – Der Fall”

Du inszenierst Effi Briest. Ist das deine erste Regiearbeit?

Ja, es ist meine erste eigene Regiearbeit. Ich habe aber schon bei verschiedenen Produktionen Assistenzen bzw. Co-Regie gemacht, u. a. beim Theater Rote Grütze bei Helma Fehrmann. Aber auch bei Gerald Uhlig, der früher, bevor er sich als freischaffender Regisseur selbständig machte, an der Berliner Volksbühne in der Scharperstraße inszenierte. Gerald Uhlig habe ich im Rahmen einer Performance assistiert, die in der Neuen Nationalgalerie uraufgeführt wurde. Da wurde ein großer Hai in seine Einzelteile zerlegt und ich musste mich dann um den Abtransport der


Skulptur / Foto Lauren Moffat

Du bist ja eigentlich gelernte Schauspielerin. Wie kommt es dazu, dass du die Bühne mit dem Regiepult tauschst?

Ich habe in Berlin Schauspiel studiert. Vorher allerdings Theaterwissenschaft und Germanistik an der FU. Worte und ihre Umsetzung auf der Bühne haben mich schon immer fasziniert. Da gibt es eine Figur auf dem Papier und der Darsteller bzw. die Darstellerin erweckt sie dann durch seine Interpretation, durch sein Fühlen und Denken, zum Leben. Wenn ich selber spiele, kann ich ja nur eine Figur darstellen. Das Reizvolle an der Regiearbeit ist für mich, dass ich eigentlich alle Figuren gleichzeitig selber spielen kann, zumindest in meinem Kopf. Und diese Figuren bewegen sich sogar in meiner ureigensten Welt, dem Bühnenbild, das mein Regieteam und ich erdacht und erarbeitet haben.

Was hat dich an Effi Briest gereizt?

Die Ambivalenz der Effi, eine vitale Figur, die an den äußeren Zwängen, an den Konventionen der Gesellschaft zerbricht. Überhaupt interessieren mich die Frauenfiguren der Romanvorlage, der zur Zeitenwende spielt und ähnlich wie “Nora” als eine Station in der Geschichte der Emanzipation gelesen werden kann, die hier allerdings noch in den Kinderschuhen steckt: Fontane lässt als Kind seiner Zeit Effi zerbrechen und geht nicht so weit wie Ibsen. Auch das Verhältnis von Effi und ihrer Mutter ist für meine Stückentwicklung von großem Interesse, weil die Tochter den Mann heiratet, in den die Mutter verliebt war. Effi führt eine Stellvertreterehe oder sogar ein Stellvertreterleben. Das muss natürlich schief gehen! Insbesondere sind aber auch die Angestellten im Hause Briest – Innstetten für mich interessant, da sie exemplarische Frauenschicksale ihrer Zeit sind. Roswitha etwa, die ein uneheliches Kind hat und von ihrem Vater dafür fast totgeschlagen wurde oder Johanna, die sich für etwas Besseres hält und die Karriereleiter innerhalb ihrer Kaste so hoch wie möglich hinaufklettern will. Dabei ist der Stoff aktueller denn je. Den Zusammenhang zur heutigen Zeit sehe ich zum Beispiel in Zwangsehe und Ehrenmord. Aber auch, etwas weniger tragisch, in den alltäglichen Zwängen und Abhängigkeiten, in denen wir alle gefangen sind.

Wie bist du an die Inszenierung herangegangen?

Inspiriert zu dem Stück wurde ich durch einen Galerie-Rundgang im Rahmen der “Kolonie Wedding” im Februar diesen Jahres. In der Galerie “Kulturpalast Wedding” stand eine Skulptur, die mich an den Stoff erinnert hat. Da habe ich dann zwei Stunden vor der Skulptur gestanden, und gedacht: “Mensch, das ist Effi Briest” und mir auf kleinen Zetteln Notizen gemacht. Zum Glück konnte ich es am nächsten Morgen noch entziffern! Die meisten Inszenierungen von Fontanes “Effi Briest”, die mir bekannt sind, sind sehr konventionell, im Sinne von 1:1, sie bilden das Fontanesche Salongeplapper ab. In meiner Inszenierung wird der Stoff in einer Laborsituation auf den Punkt gebracht, in dem Sprech- und Tanztheater verbunden bzw. gleichberechtigt behandelt werden. Eigentlich komme ich ja vom Sprechtheater, habe aber auch viel Tanztheater gemacht. Reines Sprechtheater ist mir allerdings zu statisch, beim Tanztheater fehlt mir oft die Geschichte und es kann beliebig wirken.

Was für eine Gruppe ist das “Theater der Letzten”?

Das Theater der Letzten ist eine freie Gruppe, in der professionelle und semiprofessionelle Darstellerinnen und Darsteller mitwirken. In den letzten zwei Jahren sind fünf abendfüllende Inszenierungen entstanden, die vom Publikum und der Presse sehr gut angenommen wurden. Dabei arbeiten wir ohne Fördermittel.

Wie kamt ihr auf diesen seltsamen Namen?

Oh ja, der Name, der sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der Öffentlichkeit stark polarisiert! Das Theater hat seinen Namen weg, seit vor etwa vier Jahren die letzten Übriggebliebenen einer Berliner Off-Theater-Gruppe in der S-Bahn ungefähr am Treptower Park vorbei fuhren. Sie wollten “Hase Hase” von Coline Serreau auf die Bühne bringen, doch immer mehr Akteure schienen abzuspringen. Man stellte fest, die Letzten zu sein. Und als solche brachten die Kollegen nicht viel später tatsächlich “Hase Hase” auf die Bühne der Kathedrale. Das war allerdings vor meiner Zeit.

Das Interview führte Carola Wimmer mit der Regisseurin im Dezember 2008.