2004 – Botho Strauß: Sieben Türen

Es spielten:

Susanne Bruha, Doris Hirschmann, Ulrike Majewski, Christian Igel, Ralf Krämer, Jörg Tatrczyk

Regie: Joachim Liebig

Licht: Frédéric Dautier

Premiere war am 18. Juni 2004 im theater coupé, Hohenzollerndamm 177, U-Bhf Fehrbelliner Platz.

Weitere Vorstellungen fanden statt am: 19.-21. Juni und 24.-27. Juni, jeweils 20 Uhr

Text aus dem Programmheft:

Botho Strauss goes down

Es waren nicht acht Zwerge, die hinter den sechs Bergen lebten. Ein verflixtes fünftes Jahr ist so wenig bekannt, wie die Neun-Tage–Woche. 7 – die göttliche Zahl der Vollendung, die Zahl der Vereinigung des Geistigen und der Materie – wie kann ein Autor sein Werk „Sieben Türen” nennen und gleichzeitig behaupten, es handele sich bei dieser Sammlung von kurzen Einaktern um Bagatellen, also unbedeutende Kleinigkeiten? Entweder hält Botho Strauss keine großen Stücke auf die Mystik der Zahlen (schon kurz nach der Uraufführung von „Sieben Türen” im schwedischen Odense kam zu den neun Szenen eine zehnte hinzu und selbst die werden nur selten komplett zur Aufführung gebracht. Zumindest Anzahlen scheinen ihm also schnuppe zu sein) oder er hält seine Bagatellen vielleicht für Kleinigkeiten aber sicher nicht für unbedeutend. Bevor man sich nun darauf einigt, dass die „7 Türen” gerade das Große im Kleinen, das Exemplarische im Allgemeinen aufzeigen wollen, lohnt vielleicht ein Blick hinter die anderen „7 Türen” der Literaturgeschichte.

Die Zahl im Märchen

Dort öffnete das Mädchen Judith, trotz Herzog Blaubarts Warnungen, die 7 Türen seiner Burg. Sie sah in eine Folter-, eine Waffen-, und eine Schatzkammer; in einen Blumengarten, ein Meer aus Tränen und eine Landschaft mit Wolken, allesamt blutbefleckt. Hinter der siebten erschienen die drei früheren Frauen des Herzogs, die wie der Morgen, der Mittag und der Abend gekleidet waren. Blaubart gab Judith eine Diamantenkrone und einen Sternenmantel, sie folgte den drei Frauen, die Türen schlossen sich und Blaubart sprach: „Nun bleibt es ewig Nacht.”

Wenn zu jedem Eingang ein Ausgang gehörte, käme das Öffnen der siebten Tür immer einem Eintritt in die Ausweglosigkeit gleich. Bei Botho Strauss ist die ewige Nacht eben nicht jene höllische, die auf Judiths Neugier oder eine der sieben Todsünden steht, sie ist jenes banale Jenseits, dessen Regeln das Nichts dem Selbstmörder erklärt: „Was soll man groß tun? Man redet eben miteinander. Oder man kauft ein Auto, oder keift um eine Handtasche.” In der allgemeinen Bagatellisierung des Alltags vergisst hier sogar ein Brautpaar, Hochzeitsgäste einzuladen. Kaum weniger dramatisch: ein Jedermann erhält das Paket mit dem Weltfrieden, verstaut es ungeöffnet im Schlafzimmerschrank.

Das unzählige Private

In den späten 80ern, der Entstehungszeit von „7 Türen”, schickte sich das Privatfernsehen langsam an, auch hierzulande Privatleben zu Talkshows zu formatieren, was fünf Jahre später nicht zuletzt Spuren in Strauss „Anschwellendem Bocksgesang hinterließ („In verschwätzen Zeiten bedarf die Sprache neuer Schutzzonen”). Die „7 Türen” in ihren oft absurden Konfrontationen nicht kompatibler Überlebenssysteme skizzieren das chaotische Kammerflimmern vor dem Herztod des Miteinanders. Auf dieser Nulllinie versteht dann „jeder Meinende den anders Meinenden. Da gibt es nichts zu deuten. Die Öffentlichkeit fasst zusammen, sie moduliert die einander widrigsten Frequenzen – zu einem Verstehensgeräusch”. (Ebenfalls aus dem „Bocksgesang”).

Das Ende des Erzählens

Also begebe man sich, wie Strauss mit seinen Bagatellen selbst, in die alltäglichen Niederungen. Dort, wo längst kühle Statistiken an die Stelle übergeordneter Welterklärungen getreten sind, finden sich hinter der Zahl der Siegel und Schöpfungstage manch „unbedeutende Kleinigkeiten. Jeder Siebte verweigert sich zum Beispiel dem Computer, hat starke Schlafstörungen und wenigstens einmal im Monat eine romantische Verabredung. Außerdem arbeitet jeder siebte NPD-Funktionär für den Verfassungsschutz, jeder siebte Döner Europas wird im Berliner Wedding verzehrt und jeder siebte Europäer hat keinen Zugang zu sauberem Wasser.” Botho Strauss hätte allerdings nicht Schöneres erfinden können, als dass „jeder siebte Gesunde eigentlich krank sei”. Diese Transformation des Alltäglichen ist seinen „7 Türen” wohl näher als alles andere. Ob hinter einer achten Tür die Heilung lauert, will derweil ein Geheimnis bleiben.

Ralf Krämer